Was ist drüben anders? Die Vorbilder!

20.08.2008 21:55
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#1 Was ist drüben anders? Die Vorbilder!
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HFy

Wenn ich mir so die Anlagen im MR und anderswo anschaue, fällt mir oft genug auf, daß die Gleispläne für deutsche oder auch nur mitteleuropäische Verhältnisse so gar nicht geeignet sind. Zum einen waren die eingleisigen Hauptstrecken, die "drüben" aus steuerlichen Gründen die Regel waren, bei uns nie so häufig, wenn es auch durchaus welche mit sehr starkem Verkehr gibt, wie etwa Lünen-Münster.
Was aber vor allem bei uns selten ist, ist der "division point", wo die Zugmannschaft oder die Lok gewechselt werden. Größere amerikanische Modellbahnen wie die Allegheny Midland und die Virginian & Ohio verbinden solche mittelgroßen Bahnhöfe miteinander, wo sinnvollerweise die Schicht einer Zugmannschaft enden kann. Bei uns finden Lok- und Personalwechsel in Knotenpunkten statt, die oft getrennte Anlagen für Personen - und Güterverkehr haben und nur in einer Turnhalle mit Aussicht auf Wiedererkennbarkeit nachgebaut werden könnten. Bei uns kann man nur auf wenigen Strecken mehr als hundert Meilen (161 km) weit fahren, ohne daß man an einem größeren Knotenpunkt vorbeikommt. Es gab zwar gerade zu Dampfzeiten einige Bahnhöfe, die einem "divison point" ähnlich sahen (also einige Güterzuggleise voller Länge und ein BW hatten), aber hier wurden nicht immer Loks oder Personale gewechselt Aus meiner weiteren Heimat fallen mir Jünkerath und Cochem ein ( in meiner engeren liegen die Großstädte maximal 70 -80 km auseinander)
Herbert


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20.08.2008 23:38
#2 RE: Was ist drüben anders? Die Vorbilder!
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Ich stimme Herbert natürlich zu. Das deutsche Eisenbahnnetz ist in der Tat durch eine hohe "Knotenpunktdichte" gekennzeichnet, wobei auch die kleineren dieser Knoten für die Modellnachbildung oft viel zu groß sind.

Dennoch hier mal ein paar Beispiele für "Division Points" in Deutschland.

1) Bf. Kirchweyhe (Strecke Bremen - Osnabrück)

Ursprünglich war dies ein sehr bedeutender zweiseitiger Rangierbahnhof, da praktisch alle Güterzüge zwischen den Nordseehäfen und dem Ruhrgebiet hier "gebrochen" und neu sortiert wurden. Etwa ab den 30er Jahren war es damit vorbei. Dennoch behielt der Bf. eine wichtige Rolle, da hier bei fast allen Gz Lok- und Personalwechsel und die eine oder andere Gruppenumstellung vorgenommen wurden. Die Gleise wurden dementsprechend rückgebaut (von der ursprünglichen Ausdehnung sieht man nichts mehr, schon seit den 50er Jahren mit Siedlungshäusern überbaut). Übrig blieb ein "kleiner" Rangierbahnhof mit Bw, Stückgutumladung, Personenhalt und Anschluß an eine Privatbahn (Eisenbahn Bremen-Thedinghausen). Das Ganze lag damals buchstäblich auf der grünen Wiese, weitab jeder Großstadt.

Mit der Elektrifizierung (1968) war mit der Herrlichkeit dann Schluß. Auf http://www.sporenplan.nl findet sich übrigens ein Gleisplan aus den 70er Jahren, von dessen Ausdehnung man sich nicht täuschen lassen sollte: die meisten Gleise dienten nur noch Abstellzwecken und könnten bei einer Modellnachbildung außerhalb des sichtbaren Bereichs liegen, da der typische Betrieb sie nicht benötigte.

2) Grenzbahnhöfe

Natürlich gibt es Grenzbahnhöfe mit furchtbarer Ausdehnung, aber mancher Kleinstadtbahnhof im Herzen Deutschlands wurde plötzlich "Division Point", als in Europa der eiserne Vorhang niederging, z. B. Walkenried, Ellrich, Schwanheide.

3) Übergang auf elektrifizierten Abschnitt

Auch ein Grund für Lokwechsel. Mitunter war diese Schnittstelle auch ein recht kleiner Bahnhof, z. B. Backnang oder aktuell Itzehoe.

Gruß
Sebastian


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21.08.2008 16:11
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#3 Da ist ein Knoten drin
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HFy

Die V&O (wie viele andere amerikanischen Modellbahnen) bestand, wie erwähnt, aus einer eingleisige Hauptstrecke mit mehreren Bahnhöfen (bei der V&O vier) zwischen zwei "division points" mit Lok- oder Personalwechsel. Die schnellsten Züge waren auf der 73 m langen Strecke in Modellzeit (1:6) etwa 50 min. unterwegs. Man kann hier einwenden, daß das für die Entfernung zwischen zwei "divison points" ein bißchen wenig ist, aber es gibt dem Lokführer wohl doch das Gefühl, eine ordentliche Strecke zurückgelegt zu haben. In Deutschland wären die beiden Enden einer solchen Strecke im Modell manchmal schon so groß wie die ganze V&O, und von den Zwischenbahnhöfen wäre der eine oder andere schon in derselben Liga.
Übrigens sind eingleisige Hauptbahnen in Deutschland nicht gerade selten, wobei Münster-Lünen aber wohl ein Extremfall ist. Es gibt etliche mit "hochwertigem Reisezugverkehr", wie man in der Epoche 4 wohl gesagt hat, so fahren EC's von München nach Zürich zwischen Buchloe und Hergatz über die eingleisige Hauptbahn via Memmingen (anstatt über die zweigleisige Allgäubahn, wo sie eigentlich hingehören). München - Garmisch ist ab Tutzing eingleisig, Kempten-Ulm auf der gesamten Länge. Wo wir dabei sind, gibt es natürlich auch Nebenbahnen mit IC wie Reichenhall-Berchtesgaden, Garmisch-Mittenwald und Immenstadt-Oberstdorf. Womit ich bei der neuen MIBA bin, das erste Bild im Bahnhofsrätsel ist Immenstadt. Das letzte (Wertheim) erinnert mich daran, daß auf der eingleisigen Strecke Aschaffenburg-Crailsheim früher schwere Güterzüge mit 44 unterwegs waren, auch wenn Miltenberg-Wertheim eine Nebenbahn ist.

Herbert


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16.09.2008 15:34
#4 RE: Da ist ein Knoten drin
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Ich denke, ein entscheidender Punkt ist die große Entfernung im Westen. Dadurch ergibt sich auch eine ganz andere Betriebsart.

Wolfgang


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16.09.2008 18:54
#5 What the railroad is and what it does
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Aus unserer europäischen Perspektive wird oft die Dominanz des Güterverkehrs nicht ausreichend ermessen. Der Personenverkehr genoß schon immer (mit Ausnahme der tatsächlichen Pionierzeit) eine Gastrolle auf den Streckennetzen und wurde in den späten Jahren des Niedergangs 1960-70 nur noch aus Prestigegründen aufrechterhalten, besonders nach Wegfall der Verträge für die Postbeförderung. Dies hat sich nicht unwesentlich auf den Betrieb ausgewirkt. Schließlich hat die Beförderung von Massengütern vor allem zum Überleben der Eisenbahn in Nordamerika überhaupt beigetragen.
Durch die Dominanz der Güterbeförderung und z.B. die bei manchen Gesellschaften üblichen Karawanen von Zügen in eine Richtung zu bestimmten Tageszeiten (Fleeting) unterscheidet sich der Betrieb natürlich von den uns vertrauten Alltag.

m.


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16.09.2008 20:30
avatar  HFy
#6 RE: Da ist ein Knoten drin
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HFy

Meines Wissens (ich war nie dort) gibt es nur im Nordosten eine Bevölkerungsdichte, die mit unserer vergleichbar ist. Kalifornien ist z.B. etwa so groß wie Deutschland, hat aber viel weniger Einwohner.

Herbert


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12.10.2008 21:32
#7 RE: Da ist ein Knoten drin
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California ist fast 67.000km² größer als Deutschland und hat nicht die halbe Einwohnerzahl, dafür sind einige Teile des Staates besiedelt.

Nun besteht die US-Bahnwelt ja nicht nur aus den wenigen in Deutschland bekannten westlichen Highlights wie Tehachapi-Loop, Cajon-Pass oder dem Feather River Canyon.
Die USA sind von der Ostküste her bis zu einer Linie westlich der Staaten Minnesota-Iowa-Missouri und dann diagonal südwestlich durch Oklahoma und Texas relativ dicht bis sehr dicht besiedelt. Die westlichen Großstädte Chicago, St.Lous, Oklahoma City, Dallas, Huston und San Antonia haben Einwohnerzahlen zwischen 1,2 und 9 Mio Einwohnern. Im Osten bilden Boston, New York, Washington DC, Philadelphia und Jacksonville mit 1,4 - 18 Mio Einwohnern die Siedlungsschwerpunkte. Zwischendrin ist die Besiedlung deutschen bzw. mitteleuropäischen Verhältnissen ähnlich und auf wenigen Gebieten eher spärlich.
Von dieser Linie in Landesmitte bis zum Atlantik, waren zweigleisige Strecken bei den damaligen großen Bahnen die Regel. Wer sich z.B. ein wenig mit der Pennsylvania RR beschäftig, wird mehr Gemeinsamkeiten mit KPEV und DRG/DRB entdecken als Unterschiede.
Trotz etlicher Merger und Aufkäufe, ist die Bahnlandschaft in diesem Gebiet äußerst vielfältig und abwechslungsreich. Heute bilden die Class One Railroads BNSF, NS, CSX, UP und KCS das große, meist gut ausgebaute Netz aus vielen zweigleisigen Hauptstrecken, ergänzt um teils eingleise Bypass-Linien. Eine Vielzahl von Neben- und Anschluß-/Industrie-Linien versorgen diese Bahnen und bilden ebenfalls ein dichtes Streckennetz.


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13.10.2008 12:27
avatar  HFy
#8 RE: Da ist ein Knoten drin
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HFy

wenn man aus den Artikeln der amerikanischen Fachpresse schließen darf, sind die PRR oder auch die NYC nicht eben häufige Anlagenvorbilder, und ich vermute mal, daß es nicht zuletzt an der Größe und Komplexität der Bahnanlagen liegt (an Fahrzeugen gibt es in den gängigen Maßstäben ja keinen Mangel!), daß sich so wenige herantrauen.
Laut einer Liste in Wikipedia gibt es in den USA immerhin zehn Staaten mit einer Besiedelungsdichte von mehr als 100 Personen pro Quadratmeter; davon liegen 9 im Nordosten.

Herbert


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13.10.2008 15:13
avatar  wjk
#9 RE: Da ist ein Knoten drin
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wjk

Zitat von HFy: Laut einer Liste in Wikipedia gibt es in den USA immerhin zehn Staaten mit einer Besiedelungsdichte von mehr als 100 Personen pro Quadratmeter; davon liegen 9 im Nordosten.

Bei der Bevölkerungsdichte staunen selbst die Japaner. Bitte nicht schimpfen.


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13.10.2008 16:47
avatar  OOK
#10 Warum gerade Tehachapi?
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OOK

Klar, Herbert meint natürlich Quadratkilometer.
Aber für meinen Geschmack hat sich die Diskussion ein wenig zu sehr auf Demographisches eingependelt, was schlussendlich wenig Einfluss darauf hat, wir wir Anlagen designen.

Zitat von Conrail-Markus
Nun besteht die US-Bahnwelt ja nicht nur aus den wenigen in Deutschland bekannten westlichen Highlights wie Tehachapi-Loop, Cajon-Pass oder dem Feather River Canyon.

Nach meiner Einschätzung (50 Jahre MR-Leser) lieben die Amerikaner (nicht die no-name Feld-, Wald- und Wiesenmodellbahner) das Besondere als Vorbild, nicht irgendeine generic-Bahn. Deswegen sind Tehachapi und Cajon schon vielfach nachempfundene Vorbilder, in der Schmalspur sind das Ophir, Alpine Tunnel und Georgetown-Loop. Wenn es weiter östlich sein soll, dann muss es schon wieder Horseshoe-Curve sein. Das hat hohen Wiedererkennungswert.
In Deutschland gibt es da in Regelspur wenig Paralleles, wenn wir mal absehen von der Geislinger Steige oder bestimmten Stellen der Schwarzwaldbahn. Die Schweiz bietet zumindest in Schmalspur hingegen viele leicht wiedererkennbare Motive. wie oft ist das Landwasser-Viadukt schon nachgebaut worden, oder das Wiesner Viadukt etc.
Ich habe ja auf meiner Anlage auch vermieden, ganz bestimmte Motive mit hohem Wiedererkennungswert, zumindest unter Fachleuten, nachzugestalten, wie es etwa der Bahnhof Stöberhai gewesen wäre. Andererseis gibt es diverse Modelle von Alexisbad und Drei-Annen-Hohne.

OOK
Heute schon in den ADJ-Blog geschaut?
https://www.jaffas-moba-shop.de/anlagen-design-journal/

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14.10.2008 14:45
avatar  wjk
#11 RE: Warum gerade Tehachapi?
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wjk

Zitat von OOK

Nach meiner Einschätzung (50 Jahre MR-Leser) lieben die Amerikaner (nicht die no-name Feld-, Wald- und Wiesenmodellbahner) das Besondere als Vorbild, nicht irgendeine generic-Bahn. Deswegen sind Tehachapi und Cajon schon vielfach nachempfundene Vorbilder, in der Schmalspur sind das Ophir, Alpine Tunnel und Georgetown-Loop. Wenn es weiter östlich sein soll, dann muss es schon wieder Horseshoe-Curve sein. Das hat hohen Wiedererkennungswert.
In Deutschland gibt es da in Regelspur wenig Paralleles, wenn wir mal absehen von der Geislinger Steige oder bestimmten Stellen der Schwarzwaldbahn.


Wenn ich mir so die Veröffentlichungen ansehe, habe ich den Eindruck, in Deutschland versucht fast jeder, egal ob bekannter Modellbauer oder nicht, sein Anlagenvorbild so zu wählen, dass es derzeit noch kein "Modellvorbild" gibt. Für die Vielfalt der Vorbildumsetzungen und der Anlagenthemen ist dies von ernormen Vorteil. Ausnahmen mit häufiger Umsetzung, wie die "Harzthemen", Geislinger Steige etc. gibt es natürlich auch hier. Für die Qualität der Themenumsetzung muß die Vielfältigkeit nicht förderlich sein, da keine Vergleichbarkeit gegeben ist. Aber es muß auch nicht unbedingt etwas negatives sein. Für mich positiv auffallend viele Anlagenbauer gehen ein Thema "vor der Haustür", ggf. auch eines aus der Jugendzeit, an. Und das geschieht immer häufiger mit hohem Anspruch an die Umsetzung. Die Zahl der Modellbahner in Deutschland wird immer niedriger. Die, die noch bei der Stange bleiben, werden vermutlich immer höhere Ansprüche an sich selbst stellen.

Wenn (wie in den USA) gleiche Vorbildthemen immer wieder umgesetzt werden, sieht man, wie unterschiedlich an immer wieder gleiche Themen herangegangen werden kann. Das ist im direkten Vergleich der Anlagen sehr reizvoll. Es besteht jedoch die Gefahr, dass die Wiederholungen zu einer gewissen Ermüdung des Publikums führen. Es provoziert auf der anderen Seite einen ständig steigenden Qualitätsanspruch. Man will ja schließlich die beste (allgemein anerkannte) Umsetzung des gewählten Themas haben. Trotz aller Qualitätsansprüche kann man sich aber irgendwann kaum noch mit der Wahl des Themas und seiner Umsetzung von den "Anderen" absetzen. Vielleicht führt das über kurz oder lang zu einer Änderung der Themenwahl. Vielleicht werden andere reizvolle Themen (die USA dürften voll davon sein) auch einfach (noch) nicht gesehen. Möglicherweise sind wir in Deutschland ausnahmsweise mal ein Stückchen in der Entwicklung weiter.


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05.02.2014 21:22
#12 Die Wahrnehmung
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Könnte es nicht auch sein, dass durch die Unterschiede beim Vorbild auch die Wahrnehmung des Vorbilds eine ganz andere ist? Ich habe im MR mal die Hypothese gelesen, dass viele Modellbahner Dinge nachbauen wollen, die sie im Jugendalter stark beeindruckt haben (wie OOK es im blauen Buch ja letztlich auch schreibt: Ihn hat als Kind schon das Umsetzen der Lokomotive beeindruckt, und noch heute hat er das gern auf seiner Anlage).

Allerdings muss ich zunächst einräumen, dass ich nie in den USA war, und somit die dortigen Eisenbahnen nur aus Büchern und dem MR kenne. Aber zu meinen Gedanken:

Wenn ich davon ausgehe, dass seit etwa 1970 die Bahnen in den USA fast reine Güterbahnen sind, dann werden sie wohl auch als solche wahrgenommen. Das bedeutet, wer mit der Eisenbahn in Kontakt kommt, der steht irgendwo neben dem Gleis, neben einem Anschluss oder neben einem Bahnhof und sieht, wie dort Güterzüge ein- und ausfahren, wie Wagen umrangiert und Gleisanschlüsse bedient werden. Was ist hier also das Erlebnis der Eisenbahn? Genau, der Betrieb.
Wer nun als Erwachsener zum Modellbahner wird und dieses Erlebnis nachspielen möchte, der landet damit doch eigentlich fast automatisch bei einer Betriebsanlage.

Umgekehrt ist die Eisenbahn in Deutschland etwa seit der gleichen Zeit zunehmend eine Personenbahn geworden. Damit erlebt man die Eisenbahn hierzulande erst einmal aus einer ganz anderen Perspektive, nämlich als Fahrgast. Das Erlebnis der Eisenbahn ist hierbei zuallererst einmal ein Erlebnis des Reisens.
In dem Maße, in dem Triebwagen eingesetzt werden, wird selbst in den End- und Kopfbahnhöfen oder den Spitzkehren nicht mehr rangiert. Wo kommt man denn dann als jüngerer noch mit dem Eisenbahnbetrieb in Kontakt?
Wenn nun hierzulande jemand zum Modellbahner wird, und er möchte sein Erlebnis von der Eisenbahn nachspielen, dann möchte er mit einem Personenzug durch eine möglichst schöne und romatische Landschaft fahren, um das Reiseerlebnis auf konzentriertem Raum nachzuerleben. Führt das dann nicht fast automatisch zur Ovalanlage und zum Fahrbetrieb?

Anders gefragt: Könnte es nicht auch die unterschiedliche Perspektive der Vorbildwahrnehmung sein, die zu den unterschiedlichen Anlagen auf beiden Seiten des Atlantiks führt?

Viele Grüße
Rolf


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06.02.2014 08:07
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#13 RE: Die Wahrnehmung
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OOK

Hallo Rolf, das ist eine gute Untermauerumg meiner These bezüglich Anlagenbau "What you see is what you want". Und dennoch möchte ich es etwas differenzierter betrachten. Es gibt nämlich bei deinen Beobachtungen, sowohl zu hüben als auch zu drüben, ein Aber.
Drüben: In den letzten Jahren tauchen ständig neue alte Reisezüge auf, gleich komplett mit allen darin enthaltenen Wagentypen. Mehrere Firmen, u.a. Walthers sind da sehr rührig. Und die würden das nicht immer wieder machen, wenn es für diesen "Varnish" keinen Markt gäbe.
Hüben: Es stimmt, dass der unerhört dichte Reisezugverkehr sehr ins Auge fällt. Und wenn ich auf der A3 oder der A9 fahre und von ICE3 überholt werde, dann macht mich das an. Dennoch behaupte ich, dass es hierzulande (immer noch) mindestens genauso viel Güterverkehr gibt wie in den Staaten. Absolut, nicht im Verhältnis zum Personenzugverkehr. Als ich noch mit dem Zug zur Arbeit fuhr und in Syke (Rollbahn!) auf meine RE nach Bremen wartete, konnten in der Zeit zwei, drei, manchmal sogar vier Güterzüge durch den Bahnhof gebraust kommen. Und jetzt, wo ich im Hamm wohne, stehe ich am Bahnhof Bockum-Hövel häufiger vor geschlossener Schranke, um einen oder zwei Güterzüge durchzulassen. Das ist eine zweigleisige Strecke ohne planmäßigen IC-VCerkehr, dafür umso mehr Güterzüge.
Es spielt also auch der selektive Blick eine Rolle: "What I decide to see is what I want." Man kennt das ja von den Fuzzies, die mit Kamera im Anschlag am Gleis stehen: kommt ein Güterzug, lassen sie die Kameras sinken.

OOK
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06.02.2014 21:01
#14 RE: Die Wahrnehmung
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Hallo Otto,

Du bist am Bahnübergang oder auf der Autobahn immer noch in der Außenperspektive. Damit meine ich, dass Du die Bahn als Außenstehender wahrnimmst.
Meine Argumente zielten aber daraufhin, dass hierzulande viele Kinder und Jugendliche die Bahn vor allem aus der Fahrgastperspektive erleben, unter anderem weil sie damit zur Schule fahren. Und das, was sie tagtäglich erleben, sind dann in den Ballungsgebieten häufig S-Bahn-Strecken, auf denen es wenig bis gar keinen Güterverkehr gibt.

Was in meinen Augen ebenfalls in diese Richtung weist ist das zunehmende Aufkommen von Straßenbahnanlagen unter den Modellbahnern. Früher war die Straßenbahn manchmal ein besonderer Hingucker als Zubehör auf großen Anlagen - heute lese ich immer mehr von Anlagen, ja auch Modulen, die sich voll und ganz dem Thema Straßenbahn widmen. Da liest man als Begründung für das Straßenbahnthema dann immer von den Vorteilen der kleinen Radien und so weiter, aber könnte der wahre Grund nicht auch der sein, dass der Erbauer in der Jugend mit der Straßenbahn zur Schule fuhr?

Viele Grüße
Rolf


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06.02.2014 22:58
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#15 RE: Die Wahrnehmung
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Interessante These, das mit den Straßenbahnen. Aber war die große Zeit der Straßenbahnen nicht eher ~1920 - 1960?

Um mal ein bisschen zum eigentlichen Thema des Freds zurückzukommen: Ich glaube, das erste "Erfahren" der Eisenbahn und des Betriebes der Eisenbahn ist überall das gleiche, egal ob in Europa, Nordamerika, Japan oder Madagaskar; nämlich ein vorbeifahrender Zug. Vielleicht muss man an der Schranke warten, vielleicht hört man ihn nur oder sieht ihn jeden Mittwoch in der dritten Stunde Sport. Wo der herkommt, wo er hinfährt oder was er überhaupt macht ist dabei eigentlich egal, Hauptsache das ist was Buntes Großes, das sich auch noch bewegt. Und dass sich jetzt der Durchschnittsamerikaner so häufig in Industriegebieten und an Verschiebebahnhöfen aufhält, dass er ein Gefühl für Güterverkehr bekommt, glaube ich eigentlich nicht, genausowenig wie der Durchschnittseuropäer durch die täglichen drei - vier Stationen zur Arbeit oder zur Schule ein tieferes Verständnis für das Netz seines Verkehrsverbundes entwickelt. Ich will nicht sagen, dass deine Beobachtungen und die Theorie falsch sind, aber letztendlich fangen die meisten Modellbahner, hier wie dort, mit einem Oval an. Da kann man den Zug nämlich ganz häufig vorbeifahren sehen.

Grüße,
Jan

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07.02.2014 17:09
#16 RE: Die Wahrnehmung
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Nun ja, die Straßenbahn feiert inzwischen durchaus wieder ein Comeback. Die Zeiten der Stillegungen sind, von Ausnahmen abgesehen, lange vorbei.
In Frankreich entstanden in den letzten Jahren in nahezu jeder größeren Stadt völlig neue Straßenbahnbetriebe. Aber auch in Deutschland stehen die Zeichen eher auf Ausbau und manche Stadtväter träumen von der Wiedereinführung der in den 50/60er/70er-Jahren stillgelegten Tram.
Möglicherweise hat sich hier die Warnehmung verändert, die dann auch das entsprechende Vorbild für eine Modellumsetzung attraktiv genug erscheinen lässt.


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